Chronologie eines Versagens 
Von Reiner Assmann 

Die nachfolgenden Ausführungen wurden nach bestem Wissen und Gewissen auf der Grundlage der derzeitigen öffentlichen Berichterstattung zusammengefasst. Die Quellen sind bekannt. Auf eine Nennung wurde im Text aber verzichtet. 

Ende des Jahres 2021 kam es zwischen dem späteren Täter und der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas nach aktuellem Wissenstand offensichtlich zu einem Zerwürfnis. Der Täter verließ die Glaubensgemeinschaft und meldete sich ohne weitere Zeitverzögerung bei einem Hamburger Sportschützenverein an.  

  • Ein Jahr später, am 06.12.2022 erhielt er seine erste WBK.  
  • Am 12.12.2022 hatte er die offensichtlich spätere Tatwaffe in seinem Tresor – nebst einer ungewöhnlich großen Anzahl an Magazinen 
  • Am 09.03.2023 beging er die Tat.  

Was hiermit klar herauszustellen ist, dass zwischen dem Zerwürfnis mit der Gemeinde der Zeugen Jehovas, „der Beschaffung“ der Tatwaffe, eine Pistole der Marke H&K P30 im Kaliber 9x19mm, sowie der späteren Tat gegen die Gemeinde ein thematischer Zusammenhang gegeben ist. Das Vorgehen erfolgte offenbar zielgerichtet.  

Im Dezember 2022 veröffentlichte der Täter ein englischsprachiges Buch mit dem Titel «Wahrheit über Gott, Jesus und Satan».  
Das Buch bezeichnete er als «theologisches Standardwerk» und verglich es mit der Bibel und dem Koran. Im Vorwort steht, dass er, der Verfasser Philipp F. durch einen „Vorfall“ ein Bedürfnis entwickelt habe, seine „spirituellen Werte“ weiterzuentwickeln. Außerdem heißt es im Vorwort:  

«Es scheint so, dass sich Gott ihm höchstpersönlich gezeigt hat, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.»  

Er lobte Hitler und Putin. Hitler hielt er sogar für ein Werkzeug Christi für dessen 1.000-jähriges Reich. Außerdem erklärte der Täter die Corona-Pandemie zu einem Gottesurteil.  
Auf seiner Internetseite bot er seine Dienste als Firmenberater, Investmentfachmann und ähnlichem an. Als Honorar verlangt er hier einen Tagessatz von 260.000€! 

Anfang des Jahres 2023 erhielt die Waffenbehörde der Stadt Hamburg einen anonymen, offensichtlich am PC verfassten Brief. In diesem erklärte der Absender seine Sorge über den Geisteszustand des späteren Täters und erklärte, dass hier ein psychisches Problem zu Grunde liegt. Der Verfasser führte aus, der spätere Täter habe Aggressionen gegenüber religiösen Vereinigungen und seinem früheren Arbeitgeber entwickelt.  

Die Waffenbehörde wurde daraufhin am 07.02.2023 beim späteren Täter vorstellig und führte eine unangemeldete Kontrolle durch.  
Bei dieser Kontrolle wurde von den durchführenden Beamten gemäß späterer Pressekonferenz auf dem Waffenschrank ein „Projektil“ festgestellt.  
Ein Projektil, also ein Geschoss und keine Patrone?  
Die kontrollierenden Beamten sprachen eine mündliche Verwarnung aus. Der so Verwarnte verschloss darauf das „Projektil“ im Waffenschrank ein.  
Es stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage für diese Verwarnung. Ein Projektil unterliegt, entgegen scharfer Munition, nicht den Aufbewahrungsvorschriften des WaffG.  
Es ist doch daher wohl eher davon auszugehen, dass auf dem Waffenschrank eine scharfe Patrone gelegen hat. Hier gibt es aber für eine Waffenbehörde grundsätzlich Null Ermessensspielraum hinsichtlich ihres Handelns. Die Zuverlässigkeit wäre allein auf Grund der angeführten Tatsache nach dem derzeit geltenden Waffenrecht zu widerrufen. 
(Anmerkung: In späteren Presseberichten ist von einer Patrone die Rede.)

Die Kontrolle beschränkte sich also allein auf die Waffenaufbewahrung und das auch nur unzureichend. Der Aspekt des geistigen Zustandes späteren Täters wurde völlig unbeachtet gelassen.  
Nach geltendem Waffenrecht sind aber, soweit Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die persönliche Eignung nach §6 Absatz 1 WaffG begründen, entsprechende Maßnahmen möglich, aus Sicht des Verfassers auch die Anordnung einer MPU. 

In Bezug auf die Persönliche Eignung nach §6 WaffG sei hier ein Urteil in einem anderen Fall zitiert: 

„Nach dem Scheitern seiner Ehe hatte ein Jäger in einem Brief seine Suizidabsichten geäußert. Als die Waffenbehörde davon erfuhr, entzog sie nach Ansicht des Gerichtes zu Recht mangels Zuverlässigkeit Waffenbesitzkarte und Jagdschein, da eine Gefahr einer Selbst- und Fremdgefährdung durch Waffenmissbrauch gegeben sei.“ 
 

(VG Würzburg, Beschluss vom 11.02.2014 Az W5514.23) 

Als Resümee drängt sich der Schluss auf, die Waffenbehörde in Hamburg sei hier ihrer originären Aufgabe unter Umständen nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Nach Eingang des anonymen Schreibens hätte aus Sicht des Verfassers vermutlich schon eine einfache Internetrecherche obige Erkenntnisse zu Tage gefördert. Erkenntnisse, die zusammengenommen möglicherweise den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis und die sofortige Sicherstellung aller Schusswaffen gerechtfertigt hätten.  
Anzumerken ist, dass ein derartiger Widerruf unverzüglich durchgesetzt werden kann, ohne dass ein Widerspruch durch den Inhaber der waffenrechtlichen Erlaubnis eine aufschiebende Wirkung entfalten kann. Diese Tat, zumindest mit einer Schusswaffe, hätte vermutlich verhindert werden können. Und all das aufgrund der bestehenden und bereits seit Jahren praktizierten Gesetzeslage im Waffenrecht.  

Aber wie bei einem pawlowschen Reflex wird von Politik und Medien wieder einmal sofort nach einer Verschärfung des Waffenrechts gerufen. Die Trauer konnte noch nicht beginnen, die Opfer noch nicht beerdigt werden. Stattdessen wird versucht, vom Versagen der Behörden abzulenken. Letztendlich purer Aktionismus und Symbolpolitik, die seit Jahrzehnten alle „Reformen“ des Waffengesetzes prägen. 

Die Vorgänge von Hamburg erinnern fatal an Abläufe in Hanau und Kusel, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch hier hat massives behördliches Versagen letztendlich die Tat begünstigt. Es bleibt festzustellen, dass in den vorliegenden Fällen ein Vollzugsproblem gegeben ist.