Dass solche Waffen trotz stringenter Waffengesetze in Frankreich offensichtlich problemlos und illegal zu beschaffen waren, erwähnten die Mainstream-Medien wenn überhaupt, dann nur am Rand. Lediglich der bei Journalisten beliebte Bundeswehr-/Rüstungspolitik-Blog “Augen Geradeaus!” von Thomas Wiegold thematisierte die freie Verfügbarkeit, was eine längere und am Thema vorbeigehende Diskussion um die Schießfertigkeit deutscher Polizei, Waffengesetze Selbstschutz und Allgemeinbewaffnung provozierte.
Tatsache ist, dass es in Frankreich noch nie ein Problem gab, an Kriegswaffen, Handgranaten und Sprengstoffe heranzukommen. Das zeigte sich bei zahlreichen Straftaten der vergangenen Jahrzehnte: Dabei benutzt wurden meist Beutewaffen aus Wehrmachtsbeständen, die nach 1945 nie bei den Behörden abgegeben wurden, genauso wie ein großer Teil der rund 418 000 Waffen, die von 1941-44 für den französischen Untergrund per Fallschirm abgeworfen wurden.
Seit Zerfall des Warschauer Pakts aber ist ein steter Zustrom von modernen Pistolen und Maschinenwaffen sowie Panzerfäusten nach Südfrankreich zu beobachten, vornehmlich aus dem Balkan-Raum. Französische Sicherheitsexperten schätzen die Anzahl illegaler Waffen in der 65 Millionen zählenden Bevölkerung mittlerweile auf mindestens zehn bis zwanzig Millionen. Dazu kommen etwa 7,5 Millionen registrierter Schusswaffen, vornehmlich im jagdlichen Bereich.
Mit dem Sturz des libyschen Ghadafi-Regimes eröffnete sich eine neue und noch billigere Quelle für den illegalen Waffenhandel. Die Gesamtmasse der durch den inneren Zerfall des Landes unkontrolliert auch über die Staatsgrenzen vagabundierenden Kriegswaffen wurde von militärischen Beobachtern auf gut drei Millionen taxiert, vornehmlich osteuropäische und chinesische Variationen der AK-47-Bauserie sowie RPG-7 und RPG-18 Panzerfäuste. Der Zustrom illegaler Waffen nimmt jährlich zu. Schon 2010 konfiszierte die Polizei 79 % mehr als im Vorjahr.
Seit 2011 entwickelte sich mit Ausbruch des Bürgerkriegs in Libyen die Lage dramatisch – ganz besonders im Großraum Marseille, wo ein Konflikt zwischen rivalisierenden Drogengangs allein in jenem Jahr 17 Tote und 13 Verwundete zur Folge hatte. Die Kalaschnikow erscheint die bevorzugte Waffe zu sein, nach Aussagen des damaligen Sprechers für die französische Polizeigewerkschaft, David-Olivier Reverdy: “Wenn Du keine “Kalasch” hast, bist Du sowas wie ein Loser!” Auch im letzten Jahr starben mindestens ein Dutzend Menschen beim Marseiller Drogenkrieg im Kalaschnikow-Feuer.
Erstmals wurden die Medien überregional auf die innenpolitische (Un-)Sicherheitslage im März 2012 aufmerksam. Ein mit einem ganzen Waffenarsenal ausgestatteter islamistischer Terrorist, der aus Waziristan zurückgekehrte 32jährige Algerier Mohammed Merah, erschoss in Toulouse nacheinander drei französische Soldaten auf offener Straße und tötete schließlich bei einem Feuerüberfall auf einen jüdischen Kindergarten einen Rabbi und drei Kindern. Ein viertes Kind wurde schwer verletzt. Danach lieferte er sich mit der Polizei ein 32stündiges Feuergefecht. Nach seinem Tod durch einen Polizeischarfschützen fanden die Behörden in seinem Versteck drei 45er Colt-Pistolen, eine 9 mm Sten und eine Uzi -Mpi , ein AK-47-Gewehr, sowie eine Pump-Flinte und ein .357 Magnum Revolver der Marke Colt Python. Das Geld für sein Sammelsurium hatte sich Merah durch Einbrüche und Überfälle besorgt.
Die von Präsident Sarkozy noch 2012 durchgesetzte Verschärfung des französischen Waffengesetzes wirkte sich im kriminellen Milieu überhaupt nicht aus, obwohl das Strafmaß für den Besitz illegaler Schusswaffen auf bis zu sieben Jahre Haft heraufgesetzt wurde. Im Gegenteil, die Schwarzmarktpreise sanken sogar, wahrscheinlich eine Folge des Überangebots. Kosteten AK-47- Sturmgewehre vor wenigen Jahren noch 1500-2000 Euro im Süden Frankreichs, liegen sie nach jüngsten Erfahrungen der Ermittler auf 1000 Euro oder sogar darunter. “Containerweise” würden die Kalaschnikows mittlerweile nach Frankreich kommen, so ein französischer Terrorismus-Experte zu einem TV-Journalisten, nicht zuletzt auch, weil es in den Balkanländern und an den Grenzen des Schengen-Raums genügend korrupte Polizisten und Zöllner gäbe, welche die Schmuggler gewähren ließen.
Völlig versagt hat demnach auch die für die Bekämpfung des illegalen Waffentransfers zuständige Abteilung des EU-Innenkommissariats, die sich stattdessen Anfang 2014 lieber der Neugestaltung des EU-Waffenrechts zuwandte. Lesen Sie hier:
Brüssel: prolegal-Vertreter bei Waffenrechtsdebatte im EU-Parlament
Blog: Augen geradeaus – Waffen wie beim Anschlag auf Charlie Hebdo offensichtlich kein Problem